Fragen zum Leben, zum Tod und zum Sterben
Professor Jürgen Manemann referierte zum Thema Sterbehilfe
„Zwar verstehe ich auch die Gegenposition, doch ich würde gegen den assistierten Suizid stimmen“, beantwortete Professor Jürgen Manemann, Direktor des Forschungsinstituts für Philosophie Hannover, die ethische Frage nach der Legitimation von Sterbehilfe. Dieser Aussage ging allerdings eine ausführliche philosophische Auseinandersetzung mit dem Thema voraus, denn sowohl Manemann wie auch die Theologen, Superintendent Volkmar Keil vom Kirchenkreis Harzer Land und Propst Bernd Galluschke vom Dekanat Untereichsfeld, wissen, dass es auf diese Frage keine einfache pauschale Antwort gibt.
Auch wenn jede konkrete Situation alle theoretischen Überlegungen durch Gefühle in den Hintergrund drängen kann, sei es sinnvoll, sich mit Sterbehilfe auseinanderzusetzen, so Manemann. Aus diesem Grund hatten Propst Galluschke und Superintendent Keil am 16. Juli zu einem ökumenischen Diskussionsabend nach Duderstadt eingeladen und etliche Gäste aus der gesamten Region waren gekommen.
Keil erinnerte zunächst an ein Gemälde vom Tod Josefs, bei dem Maria ihm den Schweiß von der Stirn wäscht, während Jesus in den geöffneten Himmel weist. Heute sei das Bild des Sterbens statt des geöffneten Himmels von kalter Klinikatmosphäre und statt der liebevollen Familie durch Maschinen und Schläuche geprägt, die Vorstellung des Abschiedes als ein heiliges Geschehen sei dem Schreckensbild lebensverlängernder Maßnahmen um jeden Preis gewichen.
Diesen Gedanken griff Manemann in seinem Vortrag auf und stellte dar, dass der Tod nun einmal zum Leben gehöre, gerade die Endlichkeit es so besonders mache. „Sterben heißt Platz zu machen für anderes Leben“, zeigte er eine Sichtweise auf, die demütig mache und uns anhalte, bewusst und individuell zu leben. „Das Sterben fällt leichter, wenn wir leben lernen“, führte er aus, die begrenzte Zeit also mit Wertvollem füllen und nicht nur Kraft darauf verwenden, die Zeitspanne auszudehnen.
Die Aufklärer wandten sich einst gegen die Kirche, die den Tod als Schrecken hinstellte, und etablierten das Bild des natürlichen Todes. Ihre Forderung, alles zu tun, um einen vorzeitigen Tod zu verhindern, präge unsere Gesellschaft bis heute, machte Manemann deutlich, mit dem Resultat, dass Menschen in Krankenhäusern heute unnatürlich lange am Leben erhalten werden und damit nicht das Leben, sondern bloß das Sterben verlängert werde.
Wenn der natürliche Tod wieder ins Bewusstsein rückt, wir die Endlichkeit des Lebens akzeptieren und loslassen können, helfe das, um eine grundsätzliche Haltung zum Thema Sterbehilfe zu finden. Auch Gottes Schöpfung, so Manemann, gipfelte nicht in der stetigen Steigerung, sondern am siebten Tag im Aufhören. Aus dieser „Endlichkeitskompetenz“, die er als Gegensatz zum maßlosen Fortschrittsdenken unserer Zeit zeichnete, lassen sich auch Grundsätze für das Umdenken unserer Ausbeutung der Welt und ihrer Ressourcen ableiten. Hier sei ein Kulturwandel dringend notwendig, um die Handlungsmöglichkeiten nachfolgender Generationen nicht immer mehr einzuschränken, deutete Manemann an.
In anschließenden Diskussionen wurde deutlich, dass damit bei weitem nicht alle Fragen geklärt sind und ein einzelner Vortrag weder Manemanns Weltanschauung noch den vielen Facetten des Themas Sterbehilfe gerecht wird. Dennoch empfanden alle Anwesenden die theoretischen Überlegungen wie auch den Abend als hilfreich, so sehr, dass am Ende beschlossen wurde, weitere Veranstaltungen folgen zu lassen.
Christian Dolle